Dieser Beitrag verfolgt die immer noch aktuelle Frage, „ob Musikunterricht exkludierend verfährt und ob er die Chance verpasst, gerade den Jugendlichen, die musikalisch nicht vorgebildet sind, neue Umgangsformen mit Musik anzubieten“ (Heß, 2011, S. 2). Dazu wird an einer Stichprobe von N=512 Schüler:innen zweier Realschulen untersucht, ob sich Unterschiede in diesen Untersuchungsbereichen ergeben: Begabungspotential (Musical Audiation Games (MAG) nach Gordon, 2004), Motivation (Motivation im Musikunterricht-Inventar (MMI) nach Harnischmacher & Carmichael, 2015), musikalische Präferenzen und Praxen von Schüler:innen der Sekundarstufe 1. Die deskriptive Analyse ergab, dass n=172 (29,10 %) der Schüler:innen ein niedriges musikalisches Begabungspotential, n=213(36,04 %)Schüler:innen ein mittleres und n=206 (34,86 %) ein hohes musikalisches Begabungspotentialvorwiesen. Die ANOVA zeigte signifikante Unterschiede in der Motivation (MMI) in Bezug auf musikalische Begabungspotentiale der Schüler:innen (F (2.307) =5.70; p = 0.004). Aus dem Post-Hoc Test ließ sich ermitteln, dass Schüler:innen mit hohem Begabungspotenzial (M = 3.61; SD = 0.601) durchschnittlich eine signifikant höhere Motivation (p = 0.002) hatten als Schüler:innen mit geringem Begabungspotenzial (M= 3.36; SD = 0.687). Zwischen Schüler:innen mit mittlerem Begabungspotenzial (M = 3.50; SD =0.627) und Schüler:innen mit geringem Begabungspotenzial (M = 3.36; SD = 0.687) gab es keine signifikanten Unterschiede in der MMI. Die durchschnittliche Motivation MMI bei Schüler:innen mit den musikalischen Präferenzen Rock und Jazz fiel positiver aus als bei Schüler:innen, die keinen Rock und Jazz präferierten. Wohingegen Schüler:innen mit der Musikpräferenz Rap (M = 3.36; SD =0.647) einen geringeren Mittelwert MMI hatten als Schüler:innen, welche Rap nicht präferierten (M = 3.60; SD = 0.630). Der t-Test von MMI in Abhängigkeit von der musikalischen Präferenz Rap fiel hochsignifikant aus (t(477) = 4.08, p < 0.001). Vor dem Hintergrund der oben skizzierten Analysen ergibt sich für den Musikunterricht der Sekundarstufe 1 der Bedarf eine konkrete „Binnendifferenzierung“ in der jeweiligen Musikklasse auf Grundlage der empirischen Ergebnisse aus dem MAG, dem MMI und der musikalischen Präferenzen und Praxen abzuleiten. Dazu wäre es nötig drei Gruppen von Schüler:innen zu identifizieren: solche mit 1.Niedrigem, 2. mittlerem und 3. hohem Begabungspotential. Ein potentielles Erfolgskriterium für einen „Begabungspotentialsensitiven“ Musikunterricht wäre es, wenn sich die Motivation zwischen den drei Begabungspotentialgruppen (infolge eines binnendifferenzierten Musikunterrichts) nicht signifikant unterscheiden würde. Dazu weisen die Analysen bezüglich der musikalischen Präferenzen und Praxen darauf hin, dass ein stärkerer Einbezug der musikalischen Gebrauchspraxen der Jugendlichen (z.B. postdigitales Musizieren) und der musikalischen Präferenzen (z.B. Hip-Hop Education) auf theoretischer sowie auf musikpraktischer Ebene ein vielversprechender Ansatz sein könnte. Zudem ist zu überlegen, wie musikdidaktische Förderung und Herausforderung für Schüler:innen mit unterschiedlichen Begabungspotentialen realisiert werden kann, welcher zur Steigerung musikalischer Fähigkeiten führen könnte, dazu machen z.B. die Music Learning Theory (Gordon, 2012; Süberkrüb, 2007 ) und der Aufbauende Musikunterricht (Jank, 2021a, 2021b) Vorschläge für sequenzielle Lerninhalte und Pattern-Übungen. Um bspw. Schüler:innen, welche über ein niedriges Begabungspotential, eine niedrige Motivation und keine (Privat-)instrumentalen Musikpraxen verfügen, ausreichende Teilhabe-Optionen zu ermöglichen sollte dieser großen Gruppe (29,1 % in dieser Stichprobe)bspw. durch ein langsameres Lerntempo, mit mehr Zeit und Variationen für musikalisches Üben und vielfältigen Unterstützungssystemen (Peersupport, Softwarelösungen etc.) angeboten werden. Vielfältigere Erkenntnisse könnten uns vermutlich qualitative Untersuchungen zur musikdidaktischen Adaption von Schüler:innen präferierten Musikunterrichtsinhalten und-gestaltungen bringen, um den Musikunterricht an die Motivationen, Begabungspotentiale und Präferenzen möglichst aller Schüler:innen anzupassen.