Populäre Musik und Jugendkultur

Um die Frage zu beantworten, welchen Musikunterricht es in der Sekundarstufe I braucht, erscheint es sinnvoll, den aktuell vorherrschenden Umgang Jugendlicher mit Musik genauer unter die Lupe zu nehmen. Gibt es z.B. heute noch musikalische Jugendkulturen, wie es sie noch vor einigen Jahrzehnten gab? In welchen musikalischen Lebenswelten bewegen sich Jugendliche heutzutage
Um die oben aufgeworfenen Fragen näher zu beleuchten, soll in einem ersten Schritt zunächst eine historische Perspektive eingenommen und auf die musikalischen Jugendkulturen vergangener Jahrzehnte und deren Stellenwert überblicksartig eingegangen werden.
Nach einem Exkurs zum Zusammenhang der Dimensionen Jugend, Musik und Sozialisation anhand einschlägiger Modelle, möchte ich in einem zweiten Schritt auf die Bedeutung musikalischer Welten Jugendlicher eingehen, wie sie heute - nicht nur nach meiner Meinung - unter Berücksichtigung der unterschiedlichen sozialökonomischen, soziokulturellen, ethnischen und subjektiven Sozialisationsbedingungen bestehen.
Daran anschließend möchte ich eigene Beobachtungen und eine empirische Untersuchung zu den Musikpräferenzen und Hörgewohnheiten Jugendlicher der Klassenstufen 8 bis 10 einer Haupt- und Realschule berichten und ins Verhältnis setzen zu weiteren Studien aus den Jahren 1986 und 2011 (Reinhardt & Rötter, 2013) und den aktuellen Ergebnissen der Untersuchungen des Bundesverbands der Musikindustrie (BVMI, 2021) und den Ergebnissen der Basisuntersuchungen zur Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen des medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest (JIM, 2021).
Zum Abschluss möchte ich mein vorläufiges Fazit zur Diskussion stellen, in dem ich zu der Feststellung komme, dass die strukturellen Veränderungen der Lebensbedingungen Jugendlicher zu einer bis dato kaum überschaubaren Ausdifferenzierung geführt haben. Diese Ausdifferenzierung hat schon in den 70er Jahren begonnen. Durch die zunehmende Digitalisierung wichtiger Lebensbereiche Jugendlicher hat sie jedoch in den letzten 10-20 Jahren großen Vorschub erfahren.
Wenn man überhaupt von musikalischen Jugendkulturen sprechen möchte, dann kann man feststellen, dass es in der Tat sehr viele verschiedene musikalische Jugendkulturen gibt, die nebeneinander koexistieren. Sie sind jedoch in ihrer Wirkmacht sehr viel eingeschränkter und in gewisser Weise auch unbedeutender (vgl. dazu auch Wicke, 2011, S. 114).
So lässt sich auch an der von mir erhobenen Stichprobe eine recht große Heterogenität der Schüler*innenschaft bezüglich der nebeneinander existierenden musikbezogenen „Jugendkulturen“ ablesen. Die Schülerinnen und Schüler (SuS) nutzen hierbei die jeweilige von ihnen favorisierte Musik als Distiktionsmerkmal und Medium zur Identitätsbildung. Dies lässt sich insbesondere dort beobachten, wo die Musikpräferenzen stark durch den Migrationshintergrund bestimmt werden.
Doch welche Konsequenzen lassen sich nun aus dem bisher gesagten für den schulischen Musikunterricht in der Sekundarstufe I ableiten? Welchen Musikunterricht bräuchte die Sekundarstufe I mit Blick auf die hier zusammengetragenen Erkenntnisse?
Aus meiner Sicht ergeben sich tatsächlich einige gewinnbringende Anknüpfungspunkte, die im Sinne eines guten, sinnstiftenden Musikunterrichts in der Schule Anwendung finden könnten. Zunächst liegt es auf der Hand, dass guter Unterricht die Vorerfahrungen und das Vorwissen der SuS so gut es geht berücksichtigen sollte. Hierzu ist es zum einen sinnvoll, die jeweils aktuellen Distributionswege von Musik zu kennen und die allgemein üblichen Rezeptionsweisen Jugendlicher möglichst gut einschätzen zu können (siehe dazu oben, z.B. die Ergebnissen der Basisuntersuchungen zur Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen). Zum anderen bieten konkrete Erhebungen der musikalischen Präferenzen von Lerngruppen und deren Umgang mit Musik, z.B. mithilfe von Musik-Steckbriefen am Anfang eines Schuljahres, den Vorteil, dass die anonym ausgewerteten Ergebnisse für einzelne Klassen oder Klassenstufen in Wordclouds oder Diagrammen zusammengefasst werden können, um sie mit den SuS im Unterricht zu besprechen zu können, ohne dass einzelne SuS zu viel Persönliches von sich preisgeben müssen.
Auf diese Weise lernen die SuS etwas über die Vielfalt der unterschiedlichen musikalischen Genres und Stilrichtungen anhand ihrer eigenen Angaben, wobei sie in den Unterrichtsgesprächen zu einem wertschätzenden Umgang mit jeglicher Art von Musik und Musikpräferenzen angehalten werden. Sie werden aber auch angeregt, ihren eigenen Umgang mit Musik und den damit verbundenen digitalen Medien zu reflektieren. Die Lehrkraft kann die Ergebnisse zudem ins Verhältnis setzen zu anderen Erhebungen und Studien, aber auch zu den unterschiedlichen (historischen) Hör- und Umgangsweisen, die es in der Welt der Musik gab und gibt.